In jeder länger bestehenden Beziehung kommt es zu Brüchen: Momente, in denen sich Partner missverstehen, verletzen oder aneinander vorbeireagieren. Diese Brüche sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Sie entstehen nicht, weil ein Paar „nicht zusammenpasst“, sondern weil Nähe zwischen zwei eigenständigen Menschen immer auch Reibung erzeugt. Das Entscheidende ist daher nicht, ob es Brüche gibt, sondern wie gut eine Beziehung gelernt hat, diese Brüche zu reparieren.
Gottman-Forschung: Reparaturen sagen die Zukunft einer Beziehung voraus
John und Julie Gottman konnten in ihren jahrzehntelangen Studien mit Tausenden von Paaren zeigen, dass nicht die Häufigkeit von Konflikten darüber entscheidet, wie stabil eine Beziehung bleibt. Entscheidend ist vielmehr die Fähigkeit eines Paares, nach einem Konflikt wieder zueinanderzufinden – ein Prozess, den Gottman „Reparaturversuch“ nennt. Die Forschung zeigt:
- Paare, die Reparaturen frühzeitig einsetzen, deeskalieren Konflikte schneller.
- Sie behalten ein Gefühl von Verbundenheit, selbst wenn Emotionen hochkochen.
- Reparaturen sind einer der stärksten Prädiktoren für langfristige Stabilität.
Kurz: Reparaturen können klein sein – ein kurzer Blickkontakt, ein „Warte kurz, ich möchte dich verstehen“, ein Lächeln nach einem angespannten Moment. Oder sie können tiefer gehen, etwa durch ein aufrichtiges Eingeständnis, ein Nachfragen, ein Bedauern, das ohne Verteidigung formuliert wird.
Die wissenschaftliche Quintessenz lautet: Beziehungen scheitern selten am Streit – sie scheitern an fehlenden Reparaturen.
EFT: Warum Reparaturen wirken – und warum sie Mut brauchen
In der Emotionsfokussierten Paartherapie (EFT) nach Sue Johnson stehen Bindung und emotionale Sicherheit im Mittelpunkt. Aus dieser Perspektive sind Brüche Momente, in denen das Bindungssystem Alarm schlägt: Der eine fühlt sich abgewertet oder nicht gesehen, der andere überfordert oder zurückgewiesen. Eine gelungene Reparatur bedeutet daher, dem Partner zu signalisieren: „Ich bin da. Ich sehe dich. Ich möchte unsere Verbindung schützen.“
EFT zeigt klar: Reparaturen funktionieren nur, wenn Emotionen verstanden und benannt werden können – nicht die lauten, reaktiven Gefühle, sondern die darunterliegenden Kernemotionen wie Verletzlichkeit, Bedarf nach Nähe oder Angst, nicht wichtig zu sein. Die Wirksamkeit der Reparatur hängt deshalb weniger von perfekten Worten ab, sondern von emotionaler Präsenz.
Das Entwicklungsmodell: Brüche als Entwicklungsschritte
Im Entwicklungsmodell von Bader & Pearson werden Brüche nicht nur als Schwierigkeiten, sondern als Entwicklungschancen betrachtet. Konflikte entstehen oft dort, wo Autonomie und Verbundenheit in Spannung geraten: Ein Partner braucht Raum, der andere Nähe; einer will Klarheit, der andere Sicherheit. Eine Reparatur bedeutet in diesem Modell, dass beide Partner innerlich wachsen:
- Der eine lernt, in der Verbindung zu bleiben, auch wenn es unangenehm wird.
- Der andere lernt, eigene Bedürfnisse zu benennen, ohne den Kontakt abzubrechen.
So entstehen Beziehungskompetenzen, die nicht nur den Konflikt lösen, sondern die Reife der Partnerschaft fördern. Brüche sind in diesem Sinne keine Störung, sondern ein natürlicher Bestandteil des Entwicklungsprozesses.
Esther Perel: Spannungen als Ausdruck lebendiger Beziehungen
Esther Perel beschreibt Brüche als Ausdruck zweier Grundbedürfnisse: Nähe und Freiheit. In ihrer Sicht gehören Unterschiede, Irritationen und Spannungen zum Wesen einer lebendigen Beziehung. Eine Reparatur bedeutet daher nicht, alles wieder „glatt“ zu machen, sondern die Spannung zwischen Gemeinsamkeit und Eigenständigkeit bewusst zu halten.
Perel betont: Eine reparierte Beziehung wird nicht wieder wie vorher – sie wird größer. Reparaturen erlauben Paaren, sich neu zu begegnen und einander mit mehr Neugier und weniger Verteidigung zu sehen.
Eric Hegmann: Reparaturen brauchen Zeit, Struktur und Raum
Eric Hegmann vermittelt in seiner Arbeit sehr klar, dass Reparaturen nicht nebenbei passieren können. Sie brauchen Struktur, geschützte Zeit und einen klaren Rahmen – genau das, was Intensivtage bieten. Paare können dabei so lange an einem Thema bleiben, bis sich eine echte, tragfähige Verbindung wieder herstellt.
Hegmann macht mit seinem Podcast „Die Paartherapie“ (NDR) und der gleichnamigen ARD-Serie zudem öffentlich sichtbar, wie kraftvoll solche Reparaturprozesse sein können – und dass sie nichts mit Perfektion zu tun haben, sondern mit Menschlichkeit.
Brüche sind unvermeidbar – Reparaturen sind die Kunst, die Beziehungen stark macht
Brüche lassen sich nicht vermeiden. Jede Partnerschaft erlebt sie. Doch Paare, die lernen, bewusst damit umzugehen, entwickeln Beziehungen, die nicht nur stabiler, sondern auch lebendiger sind.
Die Forschung zeigt klar: Reparaturen sind der stärkste Schutzfaktor für langfristige Beziehungsgesundheit. EFT erklärt, warum sie wirken. Das Entwicklungsmodell zeigt, wie sie wachsen lassen. Esther Perel erweitert den Blick auf ihre Sinnhaftigkeit. Und Erik Hegmann bietet praxisnahe Wege, sie erfahrbar zu machen.
In diesem Sinne versteht integrative Paartherapie solche Reparaturen nicht als Technik. Vielmehr geht es um eine Haltung, mit der Paare sagen: „Wir wählen uns – auch dann, wenn es schwierig wird.“