Mehr als Gefühlsduselei - warum Emotionen der Schlüssel zu stabilen Beziehungen sind

Mehr als Gefühlsduselei - warum Emotionen der Schlüssel zu stabilen Beziehungen sind

Viele Menschen – besonders Männer, aber längst nicht nur sie – verbinden das Wort Emotionen oft zunächst mit etwas Weichem, Unbestimmtem oder gar Überforderndem. Gefühle gelten oft als unlogisch, schwer zu kontrollieren oder als etwas, das man besser „im Griff“ hat, statt sich von ihnen leiten zu lassen. Gleichzeitig zeigt die moderne Paarforschung sehr eindeutig: Emotionen sind kein Hindernis für eine stabile Beziehung – sie sind ihre Grundlage.

Doch damit Emotionen verbindend wirken können, müssen wir verstehen, was sie eigentlich sind: keine Schwäche, keine Überempfindlichkeit und kein Zeichen mangelnder Kontrolle, sondern ein biologisch hochwirksames Navigationssystem. Und genau an diesem Punkt setzt moderne Paartherapie an.

Emotionen als Informationssystem – nicht als Störfaktor

In der emotionsfokussierten Therapie (EFT) nach Dr. Sue Johnson werden Emotionen als zentraler Motor von Bindung betrachtet. Gefühle geben uns Auskunft über Bedürfnisse, Bedrohungen, Verletzungen und Wünsche – sie sind die Sprache, die unser Nervensystem spricht, bevor wir Worte finden. Besonders in engen Beziehungen zeigen Emotionen uns an, wo wir stehen: ob wir uns sicher oder unsicher fühlen, verbunden oder allein, gesehen oder übergangen.

Auch die Forschung des Gottman-Instituts bestätigt, dass Paare nicht an „zu vielen Gefühlen“ scheitern, sondern daran, dass Emotionen nicht verstanden, nicht benannt oder nicht reguliert werden. Eskalationen entstehen weniger durch die Emotion selbst, sondern durch Schutzmechanismen, die in Sekundenbruchteilen aktiviert werden: Rückzug, Mauern, Angriff, Abwertung.

Diese Reaktionen sind keine Charakterschwächen. Sie sind gelernte Überlebensstrategien – oft seit früher Kindheit – und sie spiegeln etwas zutiefst Menschliches wider: das Bedürfnis nach Sicherheit.

Differenzierung: In der Emotion bleiben, ohne die Verbindung zu verlieren

Das Entwicklungsmodell nach Bader & Pearson betrachtet Emotionen als Entwicklungsfelder. Zentral ist dabei die Idee, dass Beziehungen dort wachsen, wo beide Partner lernen, ihre Emotionen nicht zu unterdrücken oder auszuleben, sondern zu verstehen und bewusst zu nutzenManche Menschen neigen dazu, Gefühle schnell zu rationalisieren, andere erleben sie unmittelbar und intensiv. Beides sind legitime Arten, emotional zu reagieren. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen.

Differenzierung beschreibt dabei die Fähigkeit, in Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu bleiben, ohne den Kontakt zum Gegenüber zu verlieren. Es geht nicht darum, immer ruhig zu bleiben oder „perfekt reguliert“ zu sein. Vielmehr geht es darum, zwischen dem inneren Erleben und der äußeren Reaktion einen Moment bewusst zu gestalten: Ich fühle etwas – und ich entscheide, wie ich darauf reagiere.

Manche Menschen fällt dieser Schritt leicht, weil sie früh gelernt haben, Emotionen zu benennen und zu teilen. Andere erleben es als Herausforderung – nicht, weil sie „weniger emotional“ wären, sondern weil ihre Strategien für Selbstschutz oder Beziehungsgestaltung anders geprägt sind. 

Emotionen sind nicht das Ziel – sie sind der Zugang

Moderne Paartherapie arbeitet nicht daran, Menschen „gefühlsbetonter“ zu machen. Das Ziel ist vielmehr:

  • Emotionen verständlich zu machen,
  • automatische Schutzmuster sichtbar zu machen,
  • Paaren zu ermöglichen, neu und bewusster miteinander umzugehen.

Emotionen sind damit kein Selbstzweck, sondern ein Zugang zu mehr Klarheit, Sicherheit und Verbindung.

Egal, wie leicht oder schwer jemand Zugang zu den eigenen Gefühlen findet: Die meisten Menschen wünschen sich, in Beziehungen verstanden zu werden – und das gelingt nur, wenn wir unsere emotionale Sprache etwas besser kennen.

Manche Menschen tendieren dazu, Gefühle schneller zu rationalisieren, andere empfinden sie unmittelbarer. Beides ist normal. Moderne Paartherapie hilft beiden Seiten, ihre Art der emotionalen Verarbeitung wertzuschätzen und gleichzeitig neue Handlungsspielräume zu gewinnen.

Es ist kein Gegensatz zwischen „emotional“ und „rational“. Beziehungen funktionieren am besten, wenn beides zusammenspielt. Denn Emotionen sind nicht das Problem, sondern das Werkzeug für Veränderung. Sie zeigen, was uns wichtig ist, wo wir berührt sind und wohin wir uns entwickeln möchten. Moderne Paartherapie hilft Paaren, mit Emotionen so umzugehen, dass aus ihnen Orientierung, Handlungsspielraum und Verbindung entsteht.

Nicht fühlen oder denken – sondern fühlen und verstehen. Gemeinsam.